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Interview David Graf

«Wir sind eigentlich viel zu gut»

David Graf, BMX Nationaltrainer – hier im Bild mit den Athletinnen Inès Claessens, Thalya Burford und Nadine Aeberhard (v.l.n.r.) – spricht über die bevorstehende BMX-Saison. Bild: Nico van Dartel

Am Wochenende vom 10./11. Februar beginnt im neuseeländischen Rotorua die Weltcupsaison im BMX Racing. Im Vorfeld der Ouvertüre spricht Nationaltrainer David Graf über die Olympia-Qualifikation, relevante Unterschiede bei BMX-Bahnen und die Perspektiven der Sportart in der Schweiz.

Die Saison beginnt im europäischen Winter, also eigentlich während der Vorbereitungsphase – und dies auf der anderen Seite der Erde, also im Hochsommer. Was bedeutet dies für dich und das Nationalteam?

David Graf: In Olympiajahren ist das schon fast normal. Konkret bedeutet es, dass die Pause kürzer ausfällt als gewohnt, weil die letzte Saison erst im Oktober zu Ende gegangen ist. Im Dezember liegt der Fokus auf dem physischen Training. Weil es bei uns keine Indoor-Anlage gibt, müssen wir für Bahntrainings nach Sarrians (liegt in Südfrankreich; die Red.) oder Verona ausweichen; je nach Witterung lässt es sich in Aigle und Stuttgart trainieren. Dann gibt es auch individuelle Ansätze.

Woran denkst du?

Simon Marquart hat den Winter in Kolumbien verbracht. Kolumbien ist eine starke BMX-Nation, entsprechend gut sind dort die Trainingsbedingungen. Seit dem 10. Januar weilt er in Neuseeland. Der Rest des Nationalteams traf drei Wochen vor dem Weltcupauftakt in Rotorua ein. Die frühe Anreise ist Standard. Alle Nationen, die unseren Sport professionell betreiben, machen das so.

In den Weltcupwettkämpfen geht es nicht nur um Siege, sondern auch um Olympia-Quotenplätze. Wie präsentiert sich die Ausgangslage aus Schweizer Sicht?

Sehr gut, wir liegen im Olympia-Ranking bei beiden Geschlechtern auf Rang 3. Die Nationen auf den Rängen 3 bis 5 erhalten in Paris zwei Startplätze. Bei den Männern geht es primär darum, in den Top 5 zu bleiben. Unser Vorsprung auf die Amerikaner, Holländer und Briten ist gering, die Leistungsdichte hoch. Wir brauchen gute Ergebnisse, um die Konkurrenz auf Distanz zu halten.

Wie sieht es bei den Frauen aus?

Die Situation ist entspannter, der Vorsprung auf Platz 6 relativ gross. Bleiben unsere Athletinnen gesund, werden wir ziemlich sicher mit zwei Athletinnen nach Paris reisen. Sollte es sehr gut laufen, wäre gar der Vorstoss auf Rang 2 möglich; dann könnten wir mit einem Trio antreten. Dafür müssten aber Nadine (Aeberhard) und Thalya (Burford) aufdrehen. Altersmässig gehören die beiden noch in die U23-Kategorie. Wegen ihres grossen Potenzials und der Olympia-Perspektive treten sie seit vergangenem Jahr bei der Elite an.

Der Modus ist komplex: Pro Geschlecht zählen nur die Punkte der drei in den Olympia-Rankings bestklassierten Athletinnen und Athleten; zudem kann man auch in HC- und sogar in C1-Rennen Punkte gewinnen. Wie geht man da taktisch vor?

Grundsätzlich wird versucht, in den unterklassigen Rennen am Anfang der Selektionsperiode gute Resultate zu erzielen, damit man das abhaken kann. Bei uns haben das die meisten erledigt. Im Fokus stehen die Weltcups und vor allem die WM, weil es dort am meisten Punkte zu gewinnen gibt. Wir werden kaum zusätzlich herumreisen, um billig ein paar Punkte mehr zu gewinnen.

Welche Rolle spielt im BMX die Bahn? Sind die Besten sowieso vorne, oder beeinflussen Design und Unterlage die Kräfteverhältnisse?

Der relevanteste Parameter ist die Länge der ersten Geraden. Je länger diese ist, desto fairer wird es, weil sich der Nachteil einer schlechteren Startposition einfacher wettmachen lässt. Oder andersrum formuliert: Je kürzer die erste Gerade ist, desto mehr wird riskiert, was zu mehr Stürzen führt.

Wie lässt sich diesbezüglich zur Olympia-Bahn sagen?

Das Design kennen wir noch nicht, die Dimensionen hingegen schon. Die Länge der ersten Geraden ist durchschnittlich, für uns ist das kein Nachteil. Technisch dürfte es bei den Franzosen anspruchsvoll werden. Gleichzeitig liegt das IOC grossen Wert darauf, den Wettkampf nicht unnötig gefährlich zu machen. Aber, um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Die Besten sind überall vorne dabei, das hat man in der letzten Saison bei Romain Mahieu gesehen.

Der Weltmeister ist einer von 7 Franzosen in den Top 15 der Weltrangliste. Hat dieses ausgesprochen starke Kollektiv mit den Olympischen Spielen zu tun?

In der Breite sind die Franzosen seit Jahren die stärkste Nation, das hat strukturelle Gründe. Und dann haben die Spiele in Paris dafür gesorgt, dass langjährige Weltklasseathleten wie die über 30-jährigen Sylvain André und Joris Daudet noch nicht aufgehört haben.

Du hast die Strukturen erwähnt…

…ja, da bewegen sich die Franzosen in einer eigenen Dimension. In Frankreich gibt es regionale Meisterschaften, die Vereine gehen mit ihren Athleten an die Wettkämpfe, bei etlichen Vereinen fahren auch Ausländer mit, viele Vereine haben festangestellte Trainer. In Frankreich gibt es über 25’000 lizenzierte BMX-Athletinnen und Athleten, bei uns sind es rund 500…

…und dennoch reicht es im Olympia-Ranking für Rang 3.

Ja, wir sind eigentlich viel zu gut, wenn man die Relationen anschaut. Aber das Eis ist dünn, wir bräuchten eine breitere Basis – ganz besonders bei den Frauen.

Wie beurteilst du die mittelfristigen Perspektiven im Schweizer BMX-Sport?

Grundsätzlich gut, zumal unsere Besten allesamt noch jung sind, insbesondere die Frauen. Die Zahlen sind auf tiefem Level erfreulich, am Swiss Cup beispielsweise haben so viele Mädchen wie nie zuvor teilgenommen.

Gibt es einen Zoé Claessens-Effekt?

Ich denke schon, dass es mit Zoés Leistungen und ihrem Auftreten zu tun hat. Sie ist technisch sehr stark, fast immer gut gelaunt – sie taugt zum Vorbild. Und sie demonstriert, dass es als Schweizerin möglich ist, bereits in jungen Jahren in die absolute Weltspitze vorzustossen.

Fünf Events bis Ende Mai

Der BMX Racing-Weltcup umfasst im Olympiajahr lediglich sechs Wettkämpfe. Eröffnet wird er am Wochenende vom 10./11. Februar in der neuseeländischen Kleinstadt Rotorua, zwei Wochen später misst sich die Weltspitze in Brisbane (AUS). Ende April folgt der Event in Tulsa (USA), Mitte Mai finden in Rock Hill (USA) die Weltmeisterschaften statt. Ende Mai wird die Qualifikationsphase mit den Europameisterschaften in Verona abgeschlossen.

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